Das Viable System Model (VSM) nach Stafford Beer

2015 habe ich das Viable System Model durch einen Zufall für mich „entdeckt“ und war sofort fasziniert. Neben der eigentümlichen und etwas spöden Schönheit des Modells an sich, die mich sofort für sich vereinnahmt hat, forderte mich vorallem die Tatsache heraus, dass das Modell oft als schwer verständlich und nicht in der Praxis anwendbar beschrieben wird. Damit war mein sportlicher Ehrgeiz geweckt und ich erkannte, dass das Modell ein wunderbares Werkzeug ist, um erfolgreich mit komplexen und sich verändernden Anforderungen umzugehen und ein Unternehmen gut für die ungewisse Zukunft zu wappnen. Meine Arbeit mit dem VSM und meine Faszination hält bis heute und sicherlich auch noch weit in die Zukunft an…

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Kybernetik

Ein Gesprächspartner hat einmal zu mir gesagt, dass ein Thema, dessen zweiter Buchstabe ein Ypsilon ist, sicher nichts Vernünftiges sein kann…
Zugegebenermaßen ist der Begriff Kybernetik für Viele entweder abschreckend, oder nichtssagend.
Dass sich die Kybernetik als interdisziplinäre Wissenschaft versteht, die sich in viele unterschiedliche Richtungen entwickelt hat, macht die Erklärung, was genau dahinter steckt, noch schwieriger. Diese Feststellung hat auch Stafford Beer in einer seiner Reden in einem Witz verpackt.
Grundsätzlich ist allen Ausprägungen der Kybernetik zu eigen, dass diese sich mit Kommunikation, Steuerung und Regelung (in Maschinen, aber auch in Lebewesen) befassen. Im Fachbereich der Managementkybernetik, mit der ich mich befasse, ist es explizit die Steuerung eine Unternehmens.
Und diese Steuerungstätigkeit verweist sehr genau auf den Ursprung des heutigen Begriffs: das griechische Wort kybernetes, der Steuermann.

Harnden & Leonard, 1994, S. xii

Stafford Beer

Prof. Dr. Anthony Stafford Beer (25.09.1926 – 23.08.2002) war ein britischer Kybernetiker und er gilt heute als Begründer der Managementkybernetik.
Doch seine komplette Biografie enthüllt, dass er in seinem Leben noch zahlreiche weitere interessante und prägende Stationen durchlaufen hat: Studium der Philosophie und Psychologie in London, Kanonier bei der Royal Artillery, Kompaniekommandant in Indien, Stabschef des Operations Research im britischen Kriegsministerium, Gründung und Leitung der Operational Research Group bei United Steel, Gründung von Cybor House (größte zivile OR-Gruppe), Gründung der Beratungsfirma SIGMA, Geschäftsführer von Metra International, Leiter der Unternehmensentwicklung von International Publishing Corporation, diverse Beratertätigkeiten, Autor, Forschungs- und Gastprofessor, usw.
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch sein Cybersyn-Projet, welches er 1971 auf Einladung von Salvador Allende in Chile begann, welches aber aufgrund des Putsches im September 1971 abgebrochen werden musste.
Ein detaillierter Lebenslauf und genauere Angaben zu Stafford Beers Werk und Wirken sind hier einzusehen.

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Das Modell

Das Viable System Model (VSM – bitte nicht mit Value Stream Mapping aus der Lean-Welt verwechseln), das auf Deutsch auch als „Modell lebensfähiger Systeme“ bezeichnet wird, bildet universell ein lebensfähiges und selbstorganisierendes System ab, wobei es sich dabei um jegliche Art von Lebewesen, Unternehmen und Organisationen, oder sogar ganze Staatsgebilde handeln kann.
Die ersten Variante des Modells findet sich 1959 in Beers Publikationen, welches er bis zu seinem Tod weiterentwickelte. Ziel des Modells ist es, komplexe soziale Systeme als lebensfähige Gebilde zu beschreiben und deren Steuerbarkeit trotz hoher Komplexität, Dynamik und eingeschränkter Prognostizierbarkeit sicherzustellen.
Im Hinblick auf das Thema Unternehmensentwicklung ist das Modell für mich besonders interessant, da es der Strategieentwicklung und -einbindung in alle Systeme besonderen Stellenwert beimisst und dem Einzelnen Raum für fachliche Entfaltung sowie fachliche Interaktion mit Anderen bietet. Außerdem weist das VSM eine deutliche Distanzierung von hierarchischen Strukturen auf, was durchaus als Ansatz moderner und selbstbestimmter Arbeitsgestaltung verstanden werden kann.

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Masterarbeit: VSM und Lean

Aus der Verbindung meiner Faszination für das VSM und die Anforderungen an mein Unternehmen sich im Bereich Lean weiterzuentwickeln, entstand die Idee für meine Master Thesis im Fach Lean Management. Schon der Titel zeigt deutlich, dass der Fokus auf einer Verbindung der Themen Viable System Model und Lean Management lag, wobei das VSM den Bereich der Effektivität im System und Lean Management den Bereich der Effizienz im Systems bediente. Die in der Arbeit angestellten Überlegungen konnte ich in kleinen Projekten im Unternehmen erproben, wobei die eigentliche Arbeit an meinem eigenen Modell erst nach der Master Thesis begann (dazu mehr im Bereich RoBau).
Trotz des doch etwas „exotischen“ Themas, stieß meine Arbeit im Fachbereich auf wohlwollende Kenntnisnahme und Interesse.

ConSense GmbH

ConSense Scientific Award

Eine in Zusammenhang mit meiner Master Thesis große positive Überraschung war die Auszeichnung mit dem ConSense Scientific Award im Dezember 2019.
Im Rahmen der Anwendertage der ConSense GmbH in Aachen erhielt ich neben der Entgegennahme meines Preises die Möglichkeit, meine Arbeit und die darin beschriebenen Ansätze vor einem großen Publikum zu präsentieren, was eine ganz besonders inspirierende Erfahrung war.

Hamid Rahebi für SCiO DACH

SCiO DACH und Praxisgruppe BY

Ein wichtiger Faktor bei meiner Arbeit mit dem VSM ist der Austausch mit Gleichgesinnten und Interessierten, was bei diesem speziellen Thema gar nicht so einfach ist. Umso begeisterter war ich auf die SCiO (Systems and Complexity in Organiosation) zu stoßen. Es war eine völlig neue und sehr erhellende Erfahrung, mich mit Menschen über die Themen Kybernetik, Systeme und sogar das Viable System Model unterhalten zu können, ohne dies vorher erklären zu müssen. Auch die unterschiedlichen Fachrichtungen der verschiedenen Mitglieder sorgen für spannende Perspektivwechsel und echte Interdisziplinarität.
Um noch mehr Menschen für dieses Thema zu begeistern wurde ich Ende 2019 Leiterin der Praxisgruppe Bayern als Teil der SCiO DACH.
Neben Terminen und Veranstaltungen die Mitgliedern vorbehalten sind, bieten wir auch Termine für alle Interessierten an, die natürlich herzlich eingeladen sind. Eine kleine Übersicht dieser Termine sind auch auf meiner Homepage zu finden.
Außerdem bin ich Mitglied der Cybernetics Society.


Komplexität zu meistern und dadurch die Logik der Evolution als Vorteil auf seiner Seite zu haben, macht das Management von und in komplexen Systemen beinahe zum Vergnügen.

Fredmund Malik


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