Das ewige Dilemma mit der Qualität: Diktat oder Nordstern?

Aktuell befinde ich mich in Unternehmen in der Vorbereitungsphase auf das in Kürze anstehende Qualitätsmanagementaudit. Immer mit dabei: vorbereitende interne Audits, um die Kolleginnen und Kollegen für den Themenkreis zu „sensibilisieren“. Am Ende sind meist beide Parteien etwas genervt: die Kolleginnen und Kollegen, weil die einfach nur in Ruhe arbeiten wollen und die Auditoren, weil die Verbesserungspotentiale oftmals alle Jahre wieder dieselben sind.

Daher beschäftige ich mich in meinem heutigen Blog mit den Fragen: Ist es sinnvoll (für Mensch und System) immer alles zu messen, zu beurteilen und zu bewerten? Wird durch das ständige Prüfen, Evaluieren und Auditieren ein unverhältnismäßiger Druck aufgebaut, oder dient diese Vermessung von Mensch und Prozess einem höheren Ziel?

Qualität kommt von Qual

Dass das Thema Qualität in allen Unternehmen eine wichtige, teilweise sogar für den Fortbestand des Unternehmens essentielle Rolle spielt, muss hier sicherlich nicht eigens betont werden. So weit zur Theorie. Im Alltagsgeschäft sieht das oftmals etwas anders aus und das auf der Homepage noch so vollmundig beschriebene, durch alle Abteilungen hindurch gelebte Qualitätsmanagementsystem, weist plötzlich vergleichbare Schwachstellen und Problemchen auf, wie so viele andere QM-Systeme auch. Grund hierfür ist, dass die Verantwortlichkeit für das Thema Qualitätsmanagement von Vielen schlichtweg nicht im eigenen Arbeitsumfeld wahrgenommen wird. Frei nach dem Motto: „Qualität? Das macht jemand anderes.“

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Verweise oder Fragen in Bezug auf das Qualitätsmanagement meist nicht auf breite Begeisterung unter den Kolleginnen und Kollegen stoßen.

Der QMB, ein Menschenschinder?

Eine ehemalige Kollegin von mir ging sogar etwas weiter. In einem Gespräch wies sie mich einmal darauf hin, dass „Qualitäter mit ihrem ewigen 100 Prozent-Anspruch“ Menschen in ihrem Umfeld mitunter sogar in den Burnout treiben könnten, da keine Leistung jemals gut genug, das Ziel nie erreichbar sei, was schließlich gezwungenermaßen in der totalen Demotivation münden müsse.

Spätestens da habe ich verstanden, dass das Verständnis vom Streben nach Exzellence, der Null-Fehler-Strategie, Six Sigma und anderen hochtrabenden Qualitätszielen sehr stark von der eigenen Position, dem eigenen Arbeitsumfeld und den persönlichen Einwirkungsmöglichkeit darauf geprägt ist. Umso mehr ist es Aufgabe von Menschen, die sich von Berufs wegen mit derartigen Themen befassen, mehr grundlegendes Verständnis dieser Ziele und Strategien zu vermitteln.

Erfahrungsgemäß gibt sich ein Großteil der Menschen mit einem Erfüllungsgrad zufrieden, der weit unter dem rangiert, was in Unternehmen tagtäglich gefordert wird. Gerade auch bei Fort- und Weiterbildungen wird oft mit der Zufriedenheit über ein ausreichendes Ergebnis kokettiert („die Vier ist die 2 des kleinen Mannes“).

In vielen Bereichen entbrennt auch eine emotionale Diskussion darüber, wie viel Fokus auf das Thema Qualität denn nun „genug“ beziehungsweise „zu viel“ wäre.

Pauschal lässt sich das nicht beantworten, auch wenn in vielen Lehrbüchern von einer „angemessenen“ Qualität doziert wird. Je nach Anspruch des Unternehmens, oder des Einzelnen an sich selbst, ist zunächst die Frage zu beantworten: Was will ich sein? Kosten- oder Leistungsführer. Daran orientiert sich dann auch der anzustrebende Qualitäts-Erfüllungsgrad, welcher dann irgendwo zwischen „betriebswirtschaftlich ausreichend“ und „Six Sigma“-Niveau liegen dürfte.

Ein Plädoyer für den Nordstern

Für was benötigen wir dann einen Nordstern, wenn wir ihn nie erreichen? Einerseits kann es schlicht und einfach Spaß machen davon zu träumen, wie sich dieser Zustand anfühlen könnte. Wer hat sich noch nicht ausgemalt einen zweistelligen Millionengewinn in die vielen schönen Dinge des Lebens zu investieren? Eben!

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür ebenso gering ist wie für die Realisierung des angestrebten 0-Fehler-Niveaus, bringt diese Vorstellung doch etwas unheimlich Positives mit sich: intrinsische Motivation. Und viele Menschen laufen erst dann zur Höchstform auf, wenn ihnen dargelegt wird, dass etwas nicht zu schaffen ist. Und gerade diese Menschen mit exakt diesem Mindset bringen oft schier Unglaubliches zustande.

Andererseits ist auch das Streben nach etwas Perfekten, etwas Idealem tief im Menschen verankert. Egal ob sich der Wunsch nach einer höheren Ordnung, einem Orientierungsmaßstab, oder der Erlösung von der Profanität des Alltags dahinter verbirgt; gerade weil uns heute mehr Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen als jemals zu vor, ist die Sehnsucht nach einer Verortung des Selbst im System sehr präsent.

Messbarkeit als Basis für Potential und Wachstum

Um sich nun aber den eigenen Standpunkt sowie den Weg zum Nordstern beschreibbar machen zu können, benötigt es Messinstrumente, die das aktuelle Leistungsniveau, den zurückgelegten Weg, Durststrecken und überwundene Schwierigkeiten in der Retrospektive dokumentieren.

Aber Prüfungen und Evaluationen stellen ein noch viel umfangreicheres Wissen bereit. Informationen über Wachstums- und  Entwicklungspotentiale zeigen uns eine Fülle von neuen Wegen auf, welche nur darauf warten beschritten zu werden und alle führen uns mehr oder weniger direkt in die Nähe des angestrebten Nordsterns.

Der olympische Gedanke

Somit sind regelmäßig durchgeführte Prüfungen, Leistungserhebungen oder Audits als Werkzeuge des Ansporns im positiven Sinne gedacht. Auch die externe Sicht und Beurteilung der Dinge führt immer wieder zu überraschenden und neuen Erkenntnissen. Und schließlich werden im Rahmen der oben aufgeführten Werkzeuge nicht nur mögliche Potentiale herausgestellt, sondern auch bereits erreichte Leistungen gewürdigt.

Ich plädiere dafür diese Thematik weniger verbissen, sondern eher als sportliche Herausforderung zu sehen, bei der wir uns schrittweise immer höhere Ziele stecken und parallel daran wachsen.
In diesem Sinne: „Keep calm and audit on!“

Veröffentlicht von Carola B. Roll

Carola Roll befasst sich neben ihrer Tätigkeit als IMS-Beauftragte und Strategische Betriebsorganisatorin bei der JELBA GmbH & Co. KG mit den Themenfeldern Managementkybernetik, Viable System Model, Organisationsentwicklung, Lean Management und der Gestaltung von Managementsystemen. Ihre zahlreichen eigenen berufsbegleitenden Fortbildungen (praxisorientiert und akademisch) sowie Ihre Dozententätigkeit bei der IHK, vervollkommnen ihren Anspruch sowohl eigenes Wissen zu mehren, als auch Erfahrungen weiterzuvermitteln und Menschen für den interdisziplinären Austausch zu begeistern.

2 Kommentare zu „Das ewige Dilemma mit der Qualität: Diktat oder Nordstern?

  1. Sehr geehrte Frau Roll. Einiges kann ich nachvollziehen, bei anderen Thesen kann ich so nicht mitgehen. Ihr Denkbeispiel mit dem Millionengewinn erinnert mich an den vermutlich von Antoine de Saint-Exupéry geäußerten Spruch mit dem Bootsbau und der Sehnsucht nach dem Meer. Das trifft bestimmt auf einige Mitarbeiter im Unternehmen zu. Aber viele wollen einfach nur einen Job machen, um Geld zu verdienen bzw. leben zu können. Für mich steht nach wie vor die vielgepriesene Angemessenheit im Vordergrund. Das ist gut zu vermitteln und bringt einen QMB bzw. Auditor auch den entsprechenden Respekt bei der Belegschaft ein. Mit der Norm bzw. deren Forderungen zu winken sollte m.E. nach nur dann passieren, wenn andere Methoden nicht ziehen. Klar beschäftigt sich ein Manager lieber mit operativer Arbeit als mit strategischen Themen. Hier anzusetzen und die Hintergründe dafür in Erfahrung zu bringen gehört ebenso zum Job eines guten QMB wie die Erarbeitung von Prozessen sowie dazugehöriger Dokumentation. Wenn diese unter dem Aspekt des „Warum?“ auch bzw. insbesondere aus der Perspektive des Mitarbeiters erbracht wird, ist mehr als die halbe Miete geschafft. Wenn ich dann mit den Anforderungen des Kunden, egal ob intern oder extern argumentiere und dann noch Motivation für den Tausch des Blickwinkels erreiche, kann das Unternehmen davon nur profitieren.
    Gerne können wir uns zu diesem interessanten Thema weiter austauschen.
    Mit freundlichen Grüßen
    YouCon Heiko Dreyer

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    1. Sehr geehrter Herr Dreyer,
      recht herzlichen Dank für Ihren Kommentar zu meinem Blogbeitrag.
      Unterschiedliche Standpunkte in einer Sache machen den Diskurs ja erst spannend.
      Allerdings sind für mich zwei Dinge ganz entscheidend: einerseits der Kontext eines Unternehmens – und bei einem Lohnfertiger wie meinem Arbeitgeber, steht nun einmal die Anforderung des Kunden sehr zentral im Vordergrund. Das heißt natürlich nicht, dass die Perspektive des Mitarbeiters vernachlässigt werden kann, aber der Kunde und dessen Wünsche sind in einem hart umkämpften Markt nun einmal das Maß aller Dinge.
      Andererseits bin ich der Meinung, dass ein QMB, der für seine Aufgaben brennt (und sich dabei durchaus bewusst sein kann, dass alle anderen das Thema QM nicht so spannend finden), also auch nach dem Nordstern strebt, immer bessere Arbeit abliefern wird, als eine Person, die sich mit weniger zufrieden gibt.
      Damit möchte ich sagen, dass sich Nordsternidentifikation und Mitarbeiterorientierung durchaus miteinander vereinbaren lassen.
      Hinsichtlich Ihrer Aussage der Bevorzugung operativer Arbeit im Vergleich zu strategischer Arbeit möchte ich Ihnen jedoch widersprechen. Ich denke, dass dies stark vom jeweiligen Unternehmen abhängt und es durchaus positive Gegenbeispiele hierfür gibt.
      Ich freue mich schon auf unseren weiteren Austausch.

      Mit freundlichen Grüßen
      Carola Roll

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