Meinen letzten Artikel habe ich mit der Feststellung beendet, dass wir Menschen mit der Entscheidungsfreiheit (oder je nach Perspektive auch der Last) gesegnet sind, das System in dem wir leben, aber vor allem auch arbeiten, frei zu wählen.
Auch hier ergeben sich spannende, weil stark voneinander abweichende Ansätze. Daher möchte ich mich in diesem Blog der Frage widmen: Wie sieht es denn nun aus? – DAS perfekte System FÜR den Menschen.
Systeme wohin man blickt
Beim Blick auf die Wortherkunft ist ein System zunächst ein „aus mehreren Teilen zusammengesetztes Ganzes“. Etwas genauer werden Hügli und Lübcke in ihrer Definition, die feststellt, dass diese einzelnen Elemente nicht nur miteinander verbunden, sondern auch voneinander abhängig sind. Gestaltet wird dies durch Regeln, Gesetze und Prinzipien, was dem ganzen Gebilde eine gewisse Ordnung und Struktur verleiht.
Obwohl es grundsätzliche Ähnlichkeiten zwischen den persönlichen Anforderungen an das Lebens- und Arbeitssystem gibt, möchte ich mich in diesem Blog ausschließlich auf die Gestaltung des perfekten Arbeitssystem für den Menschen konzentrieren. Denn es kann durchaus vorkommen, dass sich Menschen trotz der Gemeinsamkeiten beider Systeme, in ihrem Arbeitssystem komplett anders verhalten, als in ihrem Lebenssystem – und die Beleuchtung dieser Diskrepanz würde hier zu weit führen.
Dennoch lässt sich feststellen, dass der Mensch im Rahmen seines (Arbeits-)Systems mit anderen Elementen in Wechselbeziehung steht und dass er eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hat. Und hier befindet sich schon ein zentraler Punkt, hinsichtlich der Beschaffenheit eines Systems: Erfüllt der Mensch diese Aufgabe weil er muss, d.h. weil ihn externe Faktoren dazu zwingen, oder weil er dabei Freude, Befriedigung, ja vielleicht sogar Selbstverwirklichung empfindet? Oder trifft vielleicht sogar beides zu?
Was habe ich davon?
Inzwischen habe nicht nur ich feststellen können, dass es hinsichtlich dieser Fragen im Großen und Ganzen meist zwei unterschiedliche Vertretergruppen gibt: Die eine Gruppe strebt nach Absicherung sowie einer gewissen Bequemlichkeit und fühlt sich gleichzeitig in der oft selbstgeschaffenen Statik des Systems gefangen. Bei Veränderungen im System fragen Vertreter dieser Gruppe, die in der Literatur oft als Verwalter oder Bewahrer charakterisiert werden, nach den sich für sie ergebenden Vorteilen. Die zweite Gruppe, die Gestalter, hingegen schätzen die Dynamiken des Systems, versuchen diese bestmöglich mitzutragen und aktiv zu gestalten. Da sich diese Gruppe den Veränderungen nicht hilflos ausgesetzt fühlt, fokussieren sich die Gestalter mehr auf die Vorteilhaftigkeit der Veränderungen für das große Ganze, sprich: das System und weniger auf die persönlichen Vorteile.
Gestalter vs. Verwalter im System
Trotzdem ist es nicht so einfach, wie es nun zunächst scheint: Denn einerseits gibt es durchaus Verwalter, die es sich in ihrer systemischen Nische bequem eingerichtet haben und welche sich mit proaktivem Handeln ohnehin nur schwer identifizieren und noch weniger dazu durchringen können. Andererseits könnte ein System, welches ausschließlich von Gestaltern bevölkert wird, ebenso wenig dauerhaft überleben, da die Kontinuität der Prozesse, welche ein System dringend benötigt, nicht aufrechtzuerhalten wäre. Zudem offenbart auch der Blick von außen auf das System, dass für den Unternehmer ein Heer von Verwaltern ungleich einfacher zu führen ist, als dies bei den Gestaltern der Fall wäre.
Die Evolution als Prüfstein für Systeme
Also hat doch beides seine Berechtigung? Als Anhängerin der Managementkybernetik nach Stafford Beer, welche Unternehmen als lebendige Organismen versteht, bin ich der Meinung, dass der relevanteste Prüfstein für Lebewesen und Systeme jeglicher Art immer noch die Evolution ist – und dies sicher auch noch sehr lange Zeit bleiben wird.
Vor dieser Perspektive muss sich jeder von uns die Frage stellen, ob es denn im Sinne der Evolution sinnvoll gewesen wäre, Erreichtes immer nur bewahren zu wollen und Unannehmlichkeiten, Risiken aus dem Weg zu gehen und es sich möglichst bequem zu machen. Meiner Meinung nach sicher nicht, denn dann würden wir immer noch mit einem Fellhöschen bekleidet in der Höhle sitzen und Büffel an die Wand malen.
Die letztendliche Entscheidung aber, ob wir Verwalter oder Gestalter sein wollen, bleibt jedem Individuum selbst überlassen, mit der Konsequenz sich mit der daraus resultierenden Statik oder Herausforderung selbstverantwortlich zu stellen.
Was lernen wir daraus?
Warum muss die Entscheidung was gut für den einzelnen Menschen ist, zwangsweise im Umkehrschluss immer negativ für das System, oder vice versa sein? Wieso lassen wir uns die Sichtweise aufdiktieren, dass etwas das gut für den Einen ist, immer nachteilig für den Anderen sein muss?
Natürlich ist Denken in solchen Stereotypen einfach – und bequem, aber wenn uns die Evolution eines gelehrt hat, dann dass die Pluralität der Gestaltungsformen (eines Lebewesens oder eines Systems) die Ausgangsbasis ist, für neue, spannende Entwicklungen und die Eroberung neuer Lebens- und Gestaltungsräume sowie individueller Nischen.
Die gerade immer populärer werdenden partizipativen Methoden der Unternehmensorganisation (Selbstorganisation, Agilität, New Work…) und technischen Entwicklungen (Digitalisierung, Industrie 4.0, IoT…) sind der Grundstein für die Schaffung symbiotischer Arbeitsbeziehungen zwischen Mensch und System, welche Menschen entlasten und ihnen den Freiraum verschaffen, sich vermehrt mit ihren Ideen in das Unternehmen/System einzubringen, wovon auch dieses wiederum profitiert. Wichtig wäre im Hinblick auf die Wahl des individuellen Systems vor allem eines: Sollten wir nicht alle mehr in „Win-win“ denken, als in „Pro und Contra“?