Hier mein Beitrag zur Management-Challenge von Björn Czybik.
Danke für diesen interessanten Aufruf. Und Danke an Michael Retzlaff für die Nominierung. Schön, dass Du hierbei auch an mich gedacht hast.
Aufgabe hierbei ist es darzulegen, was ich unter Führung und Management im besten Sinne verstehe, wobei Björn mutmaßt, dass gutes Management durchaus etwas sein kann, was nicht bewusst oder explizit als solches erlernt werden muss.
So komplex die Challenge aufgefasst werden kann, so einfach sind die Regeln: Die Begriffen „Management“ und „Führung“ dürfen im folgenden Text jeweils nur drei Mal verwendet werden.
Grundsätzlich bin ich schon von berufswegen ein großer Fan der im Total Quality Management beheimateten Auffassung: „Führung ist Dienstleistung am Mitarbeiter“. Allerdings ist diese Einstellung zum Thema weder weit verbreitet, noch stößt sie überall auf Akzeptanz. Aber eigentlich wollte ich diesen Beitrag ganz anders beginnen…
Ungefähr zehn Sonntagvormittage im Jahr sind für meine Tätigkeit in der Vorstandschaft des örtlichen Imkervereins reserviert – so auch heute. Also schien es mir zeitlich schwierig mich an dieser Challenge zu beteiligen, wo doch meine Aufmerksamkeit der Rückschau des abgelaufenen Bienenjahres gehören sollte. Trotzdem ging mir die Challenge nicht aus dem Kopf und so begann ich während ich den Ausführungen des Vorsitzenden zuhörte, erstaunliche Parallelen zwischen der Arbeit eines Imkers und der eines Managers zu entdecken:
Ein Bienenvolk ist ein in sich geschlossenes, lebensfähiges System mit den verschiedensten Instanzen, deren Aufgaben zwar genau definiert und abgegrenzt sind, sich aber perfekt ergänzen. So durchläuft jede einzelne Biene in ihrem Leben bestimmte Aufgaben, die sich an ihrem Alter orientieren (Putzdienst, Brutpflege, Wabenbau, Honigherstellung, Wachdienst und zuletzt Flugbiene im „Außendienst“ sozusagen). Gerecht und auch irgendwie bewundernswert daran ist, dass es hier keinerlei Ausnahmen gibt und sich alle an einem übergeordneten Ziel orientieren: das Wohlergehen der Königin und damit das langfristige Überleben des Bienenvolkes.
Dass es ich hierbei aber nicht um ein stumpfsinniges und alternativloses Abarbeiten kleinteiliger Aufgaben in einem vorgezeichneten Ablauf in abschreckendster, tayloristischer Manier handelt, wie der außenstehende Betrachter vielleicht meinen möchte, zeigt Thomas D. Seeley in seinem Buch „Bienendemokratie“ auf. So haben Flugbienen, die mit der Suche nach lohnenden Futterquellen beauftragt sind, die Möglichkeit, die anderen Individuen im Bienenstock durch Nektarproben und Beschreibungen der Futterquelle (Lage und Distanz zum Stock) zu überzeugen. Entschieden wird nicht von der Königin, sondern demokratisch von den Arbeitsbienen. Ebenso verhält es sich bei der Aufzucht einer neuen Königin. Die Arbeiterinnen bestimmen durch die gezielte Fütterung mit Gelée Royale, ob aus einer Made eine Arbeiterin, oder eine Königin wird. „Power to the workers“ vom Feinsten, würde ich sagen.
Was hat das Ganze nun mit unserer Challenge zu tun? Ich denke, dass an den obigen ausgewählten Beispielen doch deutlich wird, dass es sich bei diesen Tieren nicht nur um niedlich gestreifte Honigsammler handelt, sondern um ein sehr wohlüberlegt und strategisch vorgehendes, staatenbildendes Insekt.
Nun kommt der Imker ins Spiel, welcher mit der Bienenhaltung wieder eigene Ziele verfolgt, die ganz idealistisch von der Erhaltung der Artenvielfalt, über persönliche Motive wie Entspannung und Kontemplation bei der Arbeit mit den summenden Insekten, bis hin zu handfesten wirtschaftlichen Interessen, wie dem Verkauf der Bestäubungsleistung sowie der Honigernte reichen. Wer jemals gesehen hat, wie US-amerikanische Großimker die Bienenstöcke unsanft wie Frachtgut per Gabelstapler verladen und dann kreuz und quer ohne Rücksicht auf Verluste durchs Land verschicken, immer der jeweiligen Nutzpflanzenblüte hinterher, wird erkennen, dass hier das ureigenste Ziel des Bienenvolks zu überleben, schlicht und einfach der Gewinnmaximierung geopfert wird.
Dieser Ansatz der Generierung eines kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolgs des Eigentümers, oft zu Lasten eines Systems ist auch unter dem Begriff Shareholder-Value bekannt; ebenso die Tatsache, dass sich hieraus kaum eine tragfähige Zusammenarbeit entwickeln lässt, die auf Dauerhaftigkeit ausgelegt ist.
Aber wie ist er denn dann, der perfekte Bienen-Manager?
Ziel ist es:
- die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen (ein schönes Zuhause an einem optimalen Standplatz),
- die zum Überleben notwendigen Ressourcen bereit zu stellen (Winterfütterung),
- bei Bedrohungen helfend einzugreifen (Behandlung von Bienenkrankheiten, Schutz vor Eindringlingen) bzw.
- Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten (Zucht von widerstandsfähigeren Bienen gegen die Varroa-Milbe),
- das Bienenvolk bei seiner Entwicklung zu unterstützen (bewusster Einsatz von Königinnen mit nachgewiesenen Wesensmerkmalen wie Sanftmut)
- die vom Bienenvolk erwirtschafteten Erfolge (Honigertrag) nur in einem für die Bienen verträglichen Maß zu entnehmen, bzw. dies entsprechend anderweitig zu substituieren (Winterfütterung)
Aber auch dem Imker sind hier Grenzen gesetzt:
- Manche Bienenvölker besitzen Wesensmerkmale (z.B. Aggressivität), welche sich auch durch mehrjährige Zucht nicht, oder nur schwer verändern lassen. Ähnliche Effekte lassen sich auch bei Transformationsprojekten betrachten, welche in die Unternehmenskultur eingreifen (sollen).
- Erfolgskonzepte und Unternehmenskultur lassen sich nicht einfach von einem Standort zum andern verpflanzen. Das mussten schon zahllose Imker feststellen, welche sich Königinnen, ganze Völker aus anderen Regionen, oder sogar gänzlich andere Bienenarten in der Hoffnung zugelegt hatten, den Ertrag zu steigern. Performanceprobleme, Anpassungsschwierigkeiten an die Umwelt, das Einschleppen von Krankheiten sowie das Zugrundegehen der betreffenden Völker waren zumeist die Folgen. Manchmal waren die Bienen an die neue Umgebung mit all ihren Besonderheiten (Witterung, Fressfeinde, Parasiten, Trachtpflanzen, usw.) schlicht und einfach nicht ausreichend angepasst.
- Auch wenn ein Imker für einen Bienenschwarm, den er einfängt, eine (in seinen Augen) noch so optimale Behausung zur Verfügung stellt, kann es sein, dass der Schwarm nach kurzer Zeit doch das Weite sucht. Auch das Austauschen einer alten Königin durch eine Jüngere kann nicht von Erfolg gekrönt sein – mit dramatischen Folgen für die Jungkönigin, die von den Arbeiterinnen zunächst getötet wird, um dann in Eigenregie zu versuchen eine neue Königin heranzuziehen. Diese Beispiele sollen zeigen, dass auch bei noch so wohlmeinendem Eingreifen des Imkers das Bienenvolk über eine Art eigenen Willen verfügt.
Diese exemplarischen Beispiele sollen illustrieren, dass Führung zwar impliziert, dass aufgrund der herausgehobenen, meist strategisch orientierten Position eine vermeintlich umfassendere Beurteilungsgrundlage des Imkers / Managements vorliegt, diese aber genauso gut irren kann. Wichtig ist die Betrachtung des Gesamtsystems, seines Zusammenwirkens, seiner vielfältigen Schnittstellen zu anderen Systemen sowie des umgebenden Umfelds und weiterer mannigfaltiger Einflussgrößen und deren Dynamiken.
Des Weiteren ist auch der Respekt vor den natürlichen und systemischen Grenzen im Sinne der Erhaltung der Lebensfähigkeit ein wichtiger Schlüssel von Führung. Auch wenn in den verschiedensten Bereichen und Wirtschaftssektoren inzwischen ein Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit einsetzt, ist es dennoch nicht immer einfach, das Streben nach Gewinnmaximierung aufgrund von übergeordneten Zielen zurückzustellen, die möglicherweise primär keine so hohe wirtschaftliche Attraktivität aufweisen.
Und zuletzt sollte den Fähigkeiten und Fertigkeiten an der Basis Zu- und Vertrauen geschenkt werden, da hier intuitiv das größte Know-How um den Fortbestand des Unternehmens zu finden ist. So stellte auch schon Marc Aurel fest: „Was dem Schwarm nicht zuträglich ist, ist auch der Biene nicht zuträglich.